Dies ist ein Gastartikel von Tim Schlenzig. Tim schreibt auf myMONK.de einen meiner liebsten Blogs. In seinem Artikel erklärt er, weshalb Deinen Job zu kündigen (und/oder um die Welt zu ziehen) nicht die Lösung Deiner Probleme sein kann.
Ich wachte auf, streckte mich, fand mich. Ohne Wecker neben und ohne Termin vor mir. Es war der erste Tag ohne Job, nach meiner Kündigung. Der erste Tag ohne feste Arbeitszeiten, dafür mit Aufgaben, die mir liegen und mit genügend Einkommen aus meinen Internetseiten, um über die Runden zu kommen, selbst wenn ich mal ein paar Wochen gar nichts tun würde.
Am besten kann ich mich daran erinnern, wie frei ich mich fühlte, endlich wieder frei. Am zweitbesten jedoch daran, irgendwie wehmütig und etwas besorgt zu sein. Das überraschte mich, auch wenn ich so etwas schon häufiger erfahren habe: man geht einen wichtigen Schritt und erhofft sich, alles würde von nun an bestens sein. Stresslos und heiter, Dauerständer im Kopf, Himmel auf Erden.
Is nich.
Keine Erlösung von all Deinen Problemen.
Keine Blumenwiese, auf der die rosa Karnickel grinsen und hüpfen, Blumen duften, die Sonne immer scheint und Milch und Bier und vorgekaute Delikatessen in Bächen fließen wie im Schlaraffenland.
Was Dich wirklich erwartet, wenn Du kündigst
Ich will Dich nicht abhalten. Nur kurz anhalten, wenn Du’s mir erlaubst. Und dann will ich Dir sagen, was Dich wirklich erwartet, wenn Du kündigst um das zu tun, was Du liebst – sei es, als digitaler Nomade um die Welt zu reisen, oder ganz analog eine Surfschule oder eine Nacktmull-Züchterei aufzumachen oder etwas anderes.
Was Dich erwartet, nachdem Du Deinen Job an den Nagel gehängt hast, sind neue Probleme. Oh, sorry, das muss man ja heutzutage „Herausforderungen“ nennen.
Also, neue Herausforderungen kommen und ein paar von den alten sind einfach dageblieben, wie die nervigen Ich-hab-kein-Zuhause-Gäste auf Deiner Party, die noch nachts um Vier rumstehen und den Wink mit dem Zaunpfahl, sie mögen doch bitte mal aufbrechen, nicht mal dann verstehen, wenn man ihnen mit dem Zaunpfahl nicht winkt, sondern mitten ins Gesicht patscht.
Meinen Job zu kündigen gehört zu den besten Entscheidungen meines Lebens, sogar noch vor der Entscheidung, mir meine schulterlangen Haare abschneiden zu lassen, die ich als Teenager hatte (ich sah damit nicht wie ein Rockstar aus, obwohl die Zahnspange schon sehr geil dazu passte).
Also: eine der besten Entscheidungen.
Aber: trotzdem nicht das, was ich mir davon versprochen hatte.
Dafür gibt’s eine Reihe von Gründen:
Ohne Job ist vieles schwerer
Das feste Gehalt wusste ich erst zu schätzen, als es nicht mehr sicher jeden Monat wie von Zauberhand auf meinem Konto landete. Die Kollegen fehlten mir wider Erwarten, im Home-Office kann’s schon verdammt einsam zugehen. Ich musste erst wieder Halt finden, selbst neue Strukturen für mich schaffen, wo die alten wegbrachen, um nicht im Meer der Möglichkeiten zu ertrinken.
Grausamer neuer Chef, Du
Ohne Job musst Du den Feierabend nicht abwarten, sondern ihn Dir selbst erlauben. Da es jederzeit unendlich viel zu tun gibt – seien es irgendwelche Aufträge, Mails, Marketing – ist das viel schwerer, als ich im Vorfeld dachte.
Die große Leere
Angenommen, Du erlaubst Dir Feierabende und Pausen und Urlaube, nimmst Dir also die Freiheit, die Du hast … dann wird Dich vielleicht eine Leere anstarren, für die Angestellte im Hamsterrad kaum Zeit haben. Eine Leere mit ihren riesigen fragenden Augen, wie die Filmstars oder Bandmitglieder auf den Plakaten in Deinem Kinderzimmer, deren Blicke Dich scheinbar immer verfolgt haben, wo auch immer im Zimmer Du warst. Und was fragt die Leere? Sie fragt: Soll das alles gewesen sein? Ist es nicht sinnlos, was ich tue und dass ich lebe? Wie geht’s mir eigentlich wirklich? Oder: Was soll ich nur anfangen mit meinem Leben? Patrick hat ja auch einen sehr wichtigen Beitrag darüber geschrieben.
Du bleibst Du
Du bist ungeduldig, schnell frustriert oder unzufrieden? Dann wirst Du’s auch nach der Kündigung bleiben, weil Du Du bleibst. Du nimmst Dich mit, wohin Du auch gehst. Nach Thailand, nach Goa, nach Darmstadt. Du nimmst Dich immer mit.
Nichts wird je perfekt sein
Gehen wir davon aus, dass nach Deiner Kündigung alles Berufliche wie geschmiert läuft. Dann hast Du mehr Kapazität frei, Dir um andere Sachen Sorgen zu machen, Dich über anderes zu ärgern oder dieses und jenes zu vermissen. Die Chancen stehen gut, dass Du diese Kapazität füllst – Material gibt’s dafür immer ausreichend, für jeden von uns (und wenn nicht, kannst Du von mir etwas abhaben).
Wenn Du Deinen Job kündigst um zu flüchten, wirst Du (nach meiner Erfahrung) nicht weit kommen. Neben den neuen Herausforderungen werden auch die alten Probleme hinter Dir her springen mit übermenschlichen Oscar-Pistorius-Beinen – und glaub mir, sie kriegen Dich dran, ganz gleich, wie leise Du Dich versteckst oder laut Du schreist.
Wahre Zufriedenheit hängt nicht an Job oder Nicht-Job, nicht an äußeren Umständen.
Wie Buddha sagte:
Nicht außerhalb, nur in sich selbst soll man den Frieden suchen.
Nach innen gehen und dort Deinen Frieden und Dein Glück suchen, kannst Du als Angestellter in einem Büro genauso wie als Selbstständiger im Home-Office.
Nicht nach innen gehen und dort suchen auch.
Zur Person: Tim Schlenzig kündigte 2011 seinen Job als Unternehmensberater und lebt seitdem von seinen Websites. Auf myMONK.de schreibt er über Meditation, Persönlichkeitsentwicklung und Selbstverwirklichung.
Seine etwa 100 Interviews mit Mönchen, Kampfsportmeistern, Yogis, Coachs, Therapeuten und Unternehmern hat er im E-Book „Die myMONK-Essenz“ verarbeitet.
Thailand, Goa, Darmstadt… hihi
Ich weiß auch nicht. Irgendwie hab ich’s mit Darmstadt :)
Sie sei Dir gegönnt, die Anhänglichkeit an das Dorf mit Straßenbahn:-)
Habe jetzt auch mal Deine HP angeschaut, sehr inspirierend!
Dankeschön, Bärbel! Einen schönen Abend und LG, Tim
sehr gut geschrieben – man nimmt sich immer mit..besser kann man es nicht ausdrücken…
Hey Jens,
Danke Dir – freut mich dasses Dir gefallen hat!
LG
Tim
Es gibt aber auch die Möglichkeit sich zu verändern wenn man seinen Job kündigt. Sich bewusst eine Auszeit nehmen um Zeit zu haben sein Leben zu überdenken. Da „nimmt man sich bewusst mit“, um sich mit seinem Ich zu konfrontieren.
Kann sehr spannend sein!
Habe ich vor 7 Jahren gemacht. Eine Auszeit von neun Monaten in Asien. In dieser Zeit gab es Höhen und Tiefen und die Einsicht, dass ich den falschen beruf hatte. Als ich zurück kam lernte ich einen neuen Beruf der mich jetzt glücklich macht.
Es ist manchmal nicht verkehrt Abstand von altem zu nehmen, um eine neue Sichtweise zu bekommen. Sich bewusst „mitzunehmen“ um Klarheit zu erlangen!
LG Marc
Hi Marc,
ja, absolut, das sehe ich nicht anders. Kann mir gut vorstellen, dass Dich diese 9 Monate fernab des Alltags sehr viel weiter gebracht haben.
Mich würde sehr interessieren, was genau Du über Dich und das, was Dir wichtig ist, gelernt hast in dieser Zeit. Also falls Du hier noch mitliest bei den Kommentaren, freu ich mich noch mal von Dir zu lesen!
LG – auch an Dich, Patrick,
Tim
Ein sehr guter Artikel über den stillen Traum von so manchem gefrusteten Arbeitnehmer, einfach alles hinzuschmeißen und dann wird endlich alles gut, dann kommt der Seelenfrieden von alleine zurück. Dann werde ich wieder zu dem Menschen der ich VOR dem Berufsleben war. Jemand der einfach mal an einem Mittwoch an den Strand fährt und sich nicht stressen lässt.
Wie oft habe ich in meinen dunkelsten Momenten von dieser Situation geträumt? Unzählige Male.
Die Einsicht, dass man sein „Päckchen“ immer mitnimmt, egal wohin man geht, wurde mir (w ,27) letztes Jahr bewusst, nachdem ich eine ähnliche „Karriere“ wie du, Tim, hingelegt hatte, als Jahrgangsbeste das Studium abgeschlossen, bei einem DAX Unternehmen eingestiegen, mich über meinen Job definiert, morgens nach Hamburg geflogen und abends wieder nach Hause. Mir das Ego vom Chef streicheln lassen durch Boni und Lob, nichts delegieren wollen, ständig der Blutdruck auf Anschlag.
Nach 5 Jahren im Job hätte ich, genau wie du, meinen Job kündigen sollen, um mal nach links und rechts zu gucken und mich zu fragen, was genau ich eigentlich gerade mit meinem Leben tue – aber leider hatte ich da deine Webseite noch nicht gefunden ;)
Stattdessen setzte ich aufgrund meiner schwindenden Gesundheit ein 100.000 Euro Projekt in den Sand und gönnte mir eine unfreiwillige mehrmonatige Auszeit in einer sehr guten Burnout-Klinik, rappelte mich wieder auf und bin gerade dabei die Scherben meines Lebens wieder aufzusammeln – IN meinem alten Job und ohne zu kündigen.
Deine Webseite ist ähnlich super wie dieser Artikel – bin gerade dabei mich durchzulesen!
Viele Grüße aus Darmstadt! (kein Witz ;))
Hi Arizona,
danke für Deine Zeilen – freu mich sehr, dass Dir mein Text gefallen hat. Und auch, dass Du gerade wieder die Scherben aufsammelst, vielleicht kommt ja am Ende was Neues bei raus … vielleicht auch eine andere Art / ein anderer Ort zu leben.
Was das eigene „Päckchen“ angeht: an einem anderen Ort hat man manchmal einfach mehr Zeit und Ruhe, es auszupacken und anzuschauen.
Du wirst es ja nun herausfinden, ob Du in dieser alten Situation mit neuer Einstellung passender leben kannst … oder ob womöglich doch irgendwann der Schritt (aus dem Hamsterrad?) sinnvoll ist.
Liebe Grüße in meine – vom Namen her, war noch nie da – Lieblingsstadt! ;)
Tim
Hallo Tim,
ein anderer Ort zu Leben als Darmstadt? Unvorstellbar ;) Ein leben außerhalb von Darmstadt ist zwar möglich, aber nicht lebenswert. ;)
Eine andere Art zu leben muss ich auf jeden Fall finden – die alte Art zu leben hat mich ja krank gemacht. Der erste Schritt ist, mich von der Illusion zu verabschieden, ohne ein dickes Gehalt nicht leben zu können – denn als Studentin habe ich schließlich auch von ein paarhundert Euro im Monat gelebt und war meistens glücklicher als in Zeiten meines High-Performance-Berufslebens. Zu lernen, mit wenig materiellem auszukommen, wenn nötig, ist für mich eine wichtige Lektion- nur wenn ich aufhöre, mein Herz an Dinge zu hängen, kann ich wirklich frei sein.
Was das Päckchen angeht – so bin ich erst seit einem Jahr dabei, es auszupacken, und hätte gedacht, das es schneller geht. Aber wenn man jahrelang alle negativen Gefühle, alles Unangenehme in Arbeit und Ablenkung begräbt, muss man anscheinend tiefer graben, um sie wieder an die Oberfläche zu befördern.
Was den Schritt aus dem Hamsterrad angeht – kann man den in unserer heutigen Gesellschaft überhaupt gehen, ohne völlig „auszusteigen“? Ist es nicht die Geschwindigkeit der ganzen Leistungsgesellschaft, die uns zwingt, mitzurennen? Wenn es nach mir gehen würde, dann würde ich nicht aussteigen aus dem Hamsterrad, sondern einfach langsamer laufen.
Sonnige Grüße und einen guten Start in die neue Woche!
Arizona
Hallo Tim,
zu kündigen habe ich geschafft, nach drei Jahren ewiger Ungewissheit ob ich den Schritt wagen kann oder nicht, ist es nun geschafft – und wie erleichtert fühle ich mich :-)
Seit einer noch viel längeren Zeit träume ich von einer Auszeit, einem Sabbatical und habe diese nun konkret im Fokus.
Alles soll nun möglichst schnell über die Bühne gehen, damit es wirklich los geht, der Zeitpunkt ist ideal, doch derorganisatorische aufwand steht wie ein großer Berg vor mir. Diese Reise zu zweit statt allein zu starten wäre ein Träumchen und Hilfe…aber so ist es nunmal nicht.
Ich lese viele Bücher über „Auszeitter“, lese diverse Blog doch nirgend lese ich Antworten zu diesem Thema:
Was macht man mit den 5 gesetztlichen Versicherungen?
Da man sich nach Kündigung beim Arbeitsamt anmelden muss, muss man sich für eine 3-4 Monate Reise abmelden, heißt also man ist nicht versichert.
Wer hat Erfahrungen mit dieser Voraussetzung? Gibt es dazu Tipps oder Tricks? Wie finanziert man diese zusätzliche Belastung, nebst allen anderen, da man keinen wirkliche „cut“ macht, sondern „nur“ eine Langzeitreise..etc etc etc?
An Euch liebe Blogger: Habt ihr Antworten darauf?
Anne
Hallo Anne,
es gibt fünf gesetzliche Versicherungen? Über was man sich alles Gedanken machen kann ;-)
Also, zur Krankenversicherung: Langzeitreisende setzen in der Regel ihre gesetzliche Versicherung aus oder auf Anwartschaft und schließen eine Reiseversicherung ab, die ca. 40-50 Euro im Monat kostet. Mehr Infos dazu hier: http://www.planetbackpack.de/reisekrankenversicherung/
Mit Arbeitslosenversicherung & Co. kenne ich mich nicht aus. Die erfolgreichen Blogger sind in der Regel selbständig und damit nicht gegen Arbeitslosigkeit versichert. Oft auch nicht gegen Rentenversicherung.
Ich erinnere mich aber mal an einen längeren Artikel einer Bloggerin zum Thema Sozialversicherungen und zwar diesen hier: http://www.pinkcompass.de/das-update-wie-ist-das-mit-dem-arbeitsamt-den-sozialversicherungen/
Ich hoffe das hilft :)
Viele Grüße,
Patrick
Hi Patrick,
Danke Dir!
Viele die alles hinschmeissen legen sich schnell mal selbst dazu.
Hallo alle miteinander!
Ich habe mal eine allgemeine Frage so in die Runde, aber ich muss kurz etwas ausholen:
Meine Freundin und ich planen im nächsten Jahr eine 3-monatige Reise nach Thailand und Co.
Derzeit bin ich im Berufsleben und da kommen schon die ersten Schwierigkeiten auf.
Damit wir unser Vorhaben durchziehen können, muss ich meinen Job kündigen.
Welche behördlichen Maßnahmen müssen für die Reise wohl eingeplant werden?
Klar ist mir, ich kündige selbst und bekomme vom Arbeitsamt erstmal eine Sperre (gut das nehme ich in Kauf oder gibt es da noch eine andere Möglichkeit).
Hat jemand von euch ähnliche Erfahrungen in dieser hinsicht gemacht?
Vielen Dank schon mal!
Gruß
Olli
Hi Olli,
lies mal meine Story und Patricks Antwort darauf (s.h. oben). DAS kommt auch dich zu!
Hallöchen,
na das nenne ich mal eine fixe Antwort!
Habe den anderen Blogg jetzt noch nicht lesen können, das werde ich aber zeitig nachholen.
Hoffe bei dir Anne ist damals alles glatt gelaufen.
Ich melde mich nochmal falls noch fragen auftauchen.
P.S.: Jemand ne günstige Airline in petto für Thailand-Reisen?
Grüße vom
Olli
Ein echt guter Artikel, der zum Nachdenken anregt. Auch ich stand oftmals kurz davor, meinen Job und alles hinzuschmeissen und den Leuten zu sagen, sie können mich mal an meinem Allerwertesten. Aber so wirklich ist das dann auch nicht die Lösung. Es kann zwar befreiend sein, aber schlussendlich ist es genau so wie du schreibst.
Ich bin der Meinung, man ist oft selbst dafür verantwortlich was mit einem geschieht, und wie das eigene Leben verläuft. Immer wieder lerne ich, dass eine gute Einstellung am Morgen (und das singen im Auto auf dem Arbeitsweg) einem die nötige Motivation für den Tag geben kann. Wenn man innerlich glücklich ist, strahlt man das auch nach aussen aus… und schon manch einer hat sich davon anstecken lassen.