Die Höhlen haben mich wieder gerufen. Wann immer sich unterirdische Welten auftun, schaue ich vorbei (Vietnam, Australien, USA). Dieses Mal musste ich meine Komfortzone ordentlich dehnen, um die Höhle meiner Wahl zu erkunden. Der einzige Weg nach unten: 100 Meter abseilen.
Die Waitomo Caves sind vor allem bekannt für ihre Glühwürmer. In der Hochsaison halten jeden Tag unzählige Busse mit Touristen vor den Glow Worm Caves. Diese sind jedoch nur sehr klein und eher unspektakulär, wären da nicht wenigstens die Glühwürmer. Für $48 gibt es letztendlich nicht viel zu sehen und ich habe ja in den letzten Monaten schon einige Höhlen besucht.
Also musste es etwas Besonderes sein. In Waitomo gibt es keinen Mangel an besonderen Erlebnissen, die vom Standard abweichen. Vor allem Blackwater Rafting ist sehr beliebt: Man treibt im Gummireifen durch die Höhlen und seilt sich hier und da mal an einem Wasserfall ab. Diese Touren gibt es in einigen Varianten, haben mich aber nicht überzeugt.
Eine Alternative hat mich angesprochen: Die Lost World Tour. Ursprünglich hatte ich diese Tour gar nicht ernst genommen, denn ich seile mich doch nicht 100 Meter ab, um in eine Höhle zu kommen!! Und doch bin ich immer wieder bei dieser Option hängen geblieben und letztendlich habe ich sie kurzerhand gebucht. Ich war entschlossen, nicht mehr über diese kleine Unannehmlichkeit des Abseilens nachzudenken.
Die grünen Hügel Waitomo’s
Doch zunächst einmal kam ich am Tag vor dem Caving in Waitomo an und war gleich begeistert von der Umgebung. Erstmals erinnerte alles ein wenig an die grünen Hügel aus Herr der Ringe – nur, dass sie momentan überwiegend gelb-braun sind. Ich kann mir jedoch gut vorstellen, wie grün und saftig hier alles im Winter und Frühjahr aussieht.
Ich bin eine Runde durch die Gegend gewandert, nicht weit, nur bis zu den ersten grünen Hügeln und habe mich dort unter einen Baum gesetzt. In der Ferne gingen ein paar Kühe und Schafe ihren Angelegenheiten nach. Herrliche Ruhe. Eine der schönsten Gegenden in Neuseeland!
Abseilen in die Lost World Cave
Am folgenden Tag geht es gegen 10 Uhr los. Die nächsten Stunden werden spannend. Wir sind nur eine kleine Gruppe, bestehend aus drei Teilnehmern und Sara, unserem Guide. Die anderen beiden sind schon Kletter- und Abseilerfahren. Ich bin der Anfänger (mit Höhenangst).
Zunächst fahren wir 20 Minuten mit dem Auto bis zur Höhle. Diese liegt auf einer privaten Farm. In Neuseeland gehört den Farmern auch alles, was sich unter ihrem Grundstück befindet. Wenn dort zufällig eine attraktive Höhle liegt, verpachten sie diese an Reiseveranstalter. Oben verdienen sie ihr Geld mit der Landwirtschaft und unten mit dem Tourismus.
Bevor es zur Höhle geht, werden wir eingekleidet: Blaumann, Gummistiefel, Helm und das Sicherheitsgeschirr (oder wie immer man das nennt). Dann folgt ein kurzer Fußweg und erste Anseilübungen, um die Handgriffe einzustudieren. Ich bin immer noch erstaunlich ruhig und sehe die Sache mit Humor.
Kurz darauf stehen wir auf der Plattform. Hier können sich bis zu acht Leute gleichzeitig abseilen. Acht Seile hängen 100 Meter weit in die Tiefe. Unten ist es zwar etwas dunkler, aber ich erkenne den Grund der Höhle und es bleibt für eine Weile das einzige Mal, dass ich nach unten schaue.
Kurz darauf sitzen wir auf einem Balken, haken uns ein, dann rutschen wir vom Balken und hängen in der Luft. 100 Meter über dem Boden. Es kommt mir gar nicht so vor, denn ich schaue ja nicht nach unten.
Die letzten „vorher“ Fotos werden geschossen und dann geht es los. Die Seile sind neu und ich bin schwer genug, um nicht viel arbeiten zu müssen. Ich kann ohne Anstrengung langsam nach unten rutschen. Da wir zur Sicherheit alle an Sara angeleint sind, müssen wir das gleiche Tempo halten.
Das Abseilen dauert erstaunlich lange, irgendwas zwischen 20 und 30 Minuten. 100 Meter können lang sein. Nach einer Weile schaue ich auch mal nach unten und nach oben und bin fasziniert. Ich habe kein Gefühl für Distanzen. Ich denke, wir haben es wohl bald geschafft, doch Sara meint, wir sind bei der Hälfte. Na gut.
Sara quatscht munter drauf los, betreibt Konversation, fragt mich, was ich denn machen will, wenn ich zurück in Deutschland bin. Dazu fällt mir gerade nicht viel ein.
Mit der Zeit wird es immer anstrengender. Am Anfang ist das Seil sehr straff, da es vom Eigengewicht (10 kg) nach unten gezogen wird. Doch nun wird es immer labbriger und ich muss mich anstrengen, nicht zu schnell zu rutschen. Die letzten 20 Meter treiben mir den Schweiß auf die Stirn und auf die Hände.
In der Lost World
Plötzlich kommen wir unten an. Ein letzter Blick nach oben: 100 Meter abgeseilt. Unten erinnert mich alles an Jurassic Park: Eine vergessene Welt mit viel Geröll, einem kleinen Fluss, ein bisschen Nebel, Moos und vielen kleinen Pflanzen. Von oben scheint die Sonne herab.
Wir sehen ein Possum, das offenbar in die Höhle gefallen ist und nun verletzt durch die Gegend humpelt. Wir lassen es in Ruhe – wissend, dass es hier wohl nicht mehr herauskommen wird.
Nach ein paar Fotos machen wir uns auf den Weg. Es geht bergauf über Geröll, an einigen Stellen seilen wir uns an. Bald sehen wir das Tageslicht nur noch aus der Ferne und gehen tiefer in die Höhle. Wir machen mehr Fotos, bekommen nun Schokolade und Orangensaft zur Stärkung.
An einer Stelle ist es so eng, dass ich nur rück- und seitwärts irgendwie durchrutsche. Aber das kenne ich ja schon (Naracoorte).
Der kleine Fluss wird nun immer lauter und schallt durch die Höhle, obwohl er nicht einmal viel Wasser führt. Dann sehe ich schon die Leiter und will erst einmal nicht an sie denken.
Plötzlich setzen wir uns und schalten die Kopflampen aus. Ich hatte es ganz vergessen: Glühwürmer! Das war ja ein Grund, hierher zu kommen. Die Höhle ist nun fast komplett dunkel, nur wenig Tageslicht dringt noch ein und an der Decke leuchten unzählige grüne Punkte wie an einem Sternenhimmel. So sitzen wir einige Minuten in der Dunkelheit und genießen die gute Zeit.
Der Aufstieg
Was nach unten kommt, muss auch wieder hinauf. Vor dem Aufstieg habe ich mindestens so viel Angst wie vor dem Abseilen, denn es gibt keinen leichten Weg heraus. Es ist eine 30 Meter lange Leiter, die uns nach oben führen soll.
Sara steigt voran und lässt ein Seil herab. Ich klinke mich ein und steige als erster hinauf. Es sollen ungefähr 130 Stufen sein. Das mache ich mir zunutze: Nicht nach unten schauen, nicht nach oben schauen, nicht nachdenken. Einfach nur Stufen zählen.
Die Stufen sind dünn, kalt und matschig. Auf halber Strecke werden die Abstände der Stufen plötzlich größer. Ich zähle gerade einmal bis knapp über 100 als ich das Ende der Leiter erreiche. Sara hat keine Ahnung. Oder ich habe mich verzählt. Es ist jedenfalls eine schöne Überraschung.
In den nächsten Minuten kommen auch die beiden anderen nachgestiegen und wir ruhen einen Moment aus. Für eine Zeit brennen die Arme, doch dann geht’s wieder.
Wir erfahren, dass es früher nur eine Strickleiter gab. Eine Strickleiter?! Ich wäre durchgedreht oder auf halber Strecke erschöpft ins Seil gesunken.
Der Rest des Aufstiegs ist nun leicht. Wir steigen nur über ein paar Felsen bis wir wieder Tageslicht sehen. Noch schnell ein „nachher“ Foto und das war’s.
Fazit
Die Lost World Tour ist eine großartige Möglichkeit, sich von den Menschenmassen abzusetzen und sich die Höhle und den Anblick der Glühwürmer richtig zu erarbeiten.
Drei Tage zuvor hatte ich noch jemandem gesagt, dass ich gar nicht daran denke, mich über 100 Meter abzuseilen und dann habe ich es mir doch auferlegt. Die Komfortzone wieder ein Stückchen gedehnt.